Archiv der Kategorie: Kultur

Ferien im Naturpark Brenne

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Nach vielen Jahren Strandurlaub am Meer haben wir uns für Ferien im Landesinneren entschieden. Dies sollte sich als eine sehr gute Idee herausstellen. Der Weg führte uns in die Gegend der Loire – welche für ihre Schlösser weltbekannt ist. Ziemlich in der Mitte Frankreichs befindet sich das Naturschutzgebiet der Brenne, mit seinen Tausend Seen.

Die Anlage

Im Süden dieses Naturschutzgebiets, beim Dorf Luzeret mit etwa 150 Einwohnern, befindet sich La Petite Brenne, ein naturistischer Campingplatz mit einer Fläche von 42 Hektaren. Nun darf man sich aber nicht eine mit unzähligen Zelten bestückte riesige Fläche vorstellen. Nein, vielmehr ist es eine natürliche Landschaft, bestehend aus Wäldern, Wiesen und steppenartigen Flächen. In einem Wald gibt es einen Bach, und unweit davon, in der Lichtung „La Grande Métairie“ ein kleiner See von 1 Hektar Größe, mit einem Floß darauf. Hier ist ein Luftbild, vom Norden aus gesehen:

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Den einzigen Hinweis auf Camping liefern die überall verstreut installierten Poller mit Steckdosen, sowie da und dort ein Zelt oder ein Wohnwagen. Ebenfalls im Gelände verstreut liegen die gemeinsamen Waschhäuser sowie alternative Unterkünfte zu den Zelten und Wohnwagen: Mobilheime und Chalets.

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Es werden gemäß Auskunft des Eigentümers maximal 150 Familien aufgenommen, um die gemeinsam genutzte Infrastruktur nicht zu stark zu belasten. Zur gemeinsam genutzten Infrastruktur gehören das Gemeinschaftshaus, Restaurant, Sauna, Bibliothek, Schwimmbecken und unzählige weitere Freiland-Einrichtungen wie Spielplätze, ein Labyrinth, sowie Vieles mehr.

Die Anlage wurde im Jahre 1995 errichtet und 1996 eröffnet. Die Eigentümerfamilie, Anja und Carel Burgmans mit Tochter Charlotte feierte dieses Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum.

Unterkunft

Wir haben uns für eine feste Unterkunft, also ein Haus entschieden. Seit 2015 gibt es die „Villa Brenne“, ein zweistöckiges Gebäude am Rande des Campingareals „La Loge“ ganz im Osten der Anlage.

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Im Haus befinden sich zwei Wohnungen, pro Etage eine. Jede der Wohnungen umfasst 120m². Die untere Wohnung bietet mehr Platz in Wohnzimmer und Küche, die obere hat dafür ein Schlafzimmer mehr. Das obenstehende Bild ist im September 2016 aufgenommen worden – nach einer ungewöhnlichlangen Trockenperiode, weshalb das Gras am Boden ziemlich braun und trocken ist.

Das Design der Wohnungen ist inspiriert vom niederländischen Künstler Piet Mondrian – die Gestaltung der Küche und der hinterleuchteten Wandbilder erinnert an dessen kubistische Phase:

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Das kubistische Motiv findet sich an vielen Orten wieder – z.B. die Beleuchtung der Bibliothek im Gemeinschaftshaus ist ganz in diesem Stil gehalten.

Wir haben uns auch weitere Chalets angeschaut – sie sind alle sehr schön gelegen, haben aber nicht denselben Standard wie die Villa Brenne, was sich natürlich im günstigeren Mietpreis widerspiegelt.

Die gesamte Anlage ist liebevoll im Detail gestaltet, was man an den unzähligen Mosaiken am Pool, am Eingang, in der Sauna und selbst neben dem Naturteich sehen kann. Allein die gemauerte Einfriedung der Villa Brenne ist ein Foto wert:

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Erwähnenswert sind die ausgeschilderten Spazierwege auf dem Gelände. Der längste (Rund-)Weg erfordert eine Stunde, wofür außer der Nacktheit ein gutes Schuhwerk empfehlenswert ist, da der Weg auch durch den Eichenwald mit etwas unwegsamem Gelände führt. Sozusagen „Nacktwandern für Anfänger“…

Wir haben zwar einige Stunden in der Sonne auf dem Floß auf dem Naturteich verbracht. Trotzdem möchte man auch etwas von der Gegend sehen, weshalb wir kleine Abstecher in die Umgebung gemacht haben.

Umgebung

Unweit von Luzeret gibt es ein Städtchen namens Argenton-sur-Creuse. Zusammen mit dem angebauten Ortsteil St-Marcel bildet es ein wirtschaftliches Zentrum, das für die täglichen Einkäufe nützlich ist.

Inmitten des Naturparks Brenne befindet sich das Städtchen Le Blanc, das ziemlich sehenswert ist. Direkt neben Le Blanc, in Saint-Michel-en-Brenne gibt es ein Naturreservat mit unzähligen Vögeln und einheimischen Schildkröten.

In Fontgombault, ebenfalls in dieser Gegend, gibt es eine Abtei aus dem 10. Jahrhundert, die noch heute von Mönchen bewohnt ist. Täglich um 10:00 Uhr wird eine Messe mit gregorianischen Gesängen gegeben.

Dies sind nur zwei Beispiele für Aktivitäten, die nicht nur strahlenden Sonnenschein erfordern. Bei der Ankunft werden dem Gast ein paar nützliche Unterlagen abgegeben, so z.B. die Broschüre „Parc naturel régional de la Brenne“.

Wir werden ganz sicher wiederkommen, und uns einmal mehr über die herzliche Gastlichkeit der Eigentümerfamilie freuen.

Webseite: La Petite Brenne

Naked at Lunch – ein Buchtipp

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Mark Haskell Smith, Schriftsteller, Sachbuchautor und Universitäts-Dozent aus Los Angeles, hat sich für ein Jahr in die Welt der Nackten begeben.  Das Resultat seiner „angewandten Feldforschung“ ist ein  Sachbuch über den Naturismus, welches sich ebenso unterhaltsam wie eine Erzählung liest.

Ein Buch über den Naturismus aus der Feder eines Amerikaners ist umso bemerkenswerter, da die Nacktheit in der US-amerikanischen Gesellschaft fast schon notorisch mit Sexualität verbunden wird. Deshalb hat sich der Autor mit dem Begriff „nonsexual social nudism“ beholfen, um seine Leserschaft in die richtige Richtung zu leiten.

Ich habe mir sowohl die US-amerikanische Originalausgabe (2015) in der UK-Edition als auch die deutsche Übersetzung (2016) besorgt und parallel gelesen. Abgesehen von ein paar kaum zu übersetzenden und deshalb fehlenden USA-typischen colloquialisms ist die Übersetzung ins Deutsche von Jan Schönherr  erstaunlich exakt.

Seine Feldforschung betreibt Mark Haskell Smith sowohl an den verschiedensten Orten als auch an unterschiedlichen Quellen, wie z.B. in Archiven der Naturistenvereinigungen in den USA und in Europa. Es gibt Erlebnisberichte aus so unterschiedlichen Orten in Europa wie z.B. Vera Playa bei Almeria, dem Village Naturiste in Cap d’Agde, aus den österreichischen Alpen anlässlich der NEWT 2013 (Naked European Walting Tour) bis hin zu einer Bare Necessities Kreuzfahrt in der Karibik.  (Randbemerkung: Mein letzter Link zu den Kreuzfahrten ist mit einen Javascript-Dialog versehen, worin man seine Volljährigkeit zu bestätigen hat.  In den USA dürfen Kinder – zwar unter erwachsener Anleitung – Schusswaffen benutzen, aber niemals nackte Körper zu Gesicht bekommen.)

Trotz vieler amerikanischer Sichtweisen auf den Naturismus ist dieses Buch absolut lesenswert, auch für die Menschen, die sich (noch) nicht mit der sozialen Nacktheit auseinandergesetzt haben.

Selbstbegegnungen – ein Buchtipp

„Das Fremde in uns und das Fremde um uns — beides könnte uns bereichern. Dazu müssen wir aber verlernen, es uns verständlich machen zu wollen.“

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Neulich, ganz zufällig  während einer Autofahrt, habe ich die  SRF2-Radiosendung «Kontext» verfolgt. Unter anderem gab es eine Buchbesprechung zu Martin R. Dean’s neuem Buch «Verbeugung vor Spiegeln». Er hat dieses Buch 2015 aus Anlaß seines 60. Geburtstags geschrieben. Es ist eine Art Rückblick auf einen wesentlichen Teil seines bisherigen Gesamtwerks — oder für mich sogar auch eine Art Gebrauchsanweisung, seine früheren, teilweise autobiographischen Romane zu lesen. Aufgrund dieser Buchbesprechung habe ich mir dieses Buch sofort besorgt und es mit zunehmender Begeisterung gelesen.

Daraufhin habe ich gleich noch weitere Romane dieses Autors bestellt – sie sind zum Teil nur noch antiquarisch erhältlich. Hierbei ist das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher sehr hilfreich. Herausragend in dem autobiographischen Kontext sind vor allem die Titel «Ein Koffer voller Wünsche» und «Meine Väter».

Nun aber zurück zum Eingangs erwähnten Buch «Verbeugung vor Spiegeln». Der Klappentext umschreibt sehr treffend den Ansatz, welchen Martin R. Dean seiner Leserschaft vermitteln möchte:

Über das Eigene und das Fremde

„Man könnte meinen, das Fremde sei allgegenwärtig. Jedenfalls gibt es kaum ein Thema, das von der Tagespolitik über die Medien bis zu den Stammtischen so heftig diskutiert wird, und immer geht es um die Fremden und um Abwehr, Regulierung und Integration. Martin R. Dean, als Sohn eines Vaters aus Trinidad in der Schweiz geboren, kennt die Debatte, vor allem aber kennt er die Erfahrung, die er in vielen seiner Romane fruchtbar gemacht hat. So auch in diesem Buch, in dem er das Fremde als radikale Erfahrungsmöglichkeit im Austausch unter Menschen beschreibt. In  vielfachen Selbstbegegnungen sucht er nach Spuren der eigenen Verwandlung, wie sehr ihn das Fremde, die Begegnung mit dem anderen, auf Reisen, in der Literatur, zu dem gemacht hat, der er ist. Und er kommt zu einem überraschenden Schluss: Das Fremde, das eigentliche Kapital der Moderne, droht in den Prozessen der Globalisierung zu verschwinden. Um es wiederzugewinnen, müssen wir darauf bestehen, dass das Fremde fremd bleibt, wir müssen es aushalten. Und wir müssen vor allem „verlernen“, es uns verständlich machen zu wollen.“

In der heutigen Zeit, in der wir wegen der Flüchtlingsströme auf Fremdes, Andersartiges womöglich zum ersten Mal überhaupt aufmerksam werden, ist dieses Buch ein wahrer Augenöffner und ein Plädoyer für Menschlichkeit und mehr Achtsamkeit im Umgang miteinander.

Über den Autor

Geboren am 17.7.1955 in Menziken (Kanton Aargau, Schweiz). Arbeit als Schriftsteller, Journalist und Essayist in Basel. Gymnasiallehrer am Gymnasium Muttenz (BL) mit Teilzeitpensum. Verheiratet mit der Kulturwissenschaftlerin Silvia Henke (Hochschule Luzern). Seit 2009 Auftrag am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel.

Grace Hopper und Kurt W. Beyer – Ein Nachtrag

Wie im vorhergehenden Blogbeitrag berichtet, hat sich Dr. Kurt W. Beyer eingehend mit dem Leben von Admiral Grace Hopper beschäftigt. Es gibt nicht nur einen Vortrag, sondern auch ein lesenswertes Buch:

Grace Hopper And The Invention Of The Information Age

Autor ist derselbe Kurt W. Beyer, der den knapp einstündigen Vortrag gehalten hat, von dem ich vorgängig berichtet habe.  Er zeichnet das Bild einer Mathematikprofessorin, welche in einer Art Wendepunkt ihres Lebens in die Armee eintritt und fortan die Geschicke des aufkeimenden Informatikzeitalters bestimmt.  Der Schock des japanischen Angriffs auf Pearl Harbor hat die amerikanischen Streitkräfte auf eine extreme Weise mobilisiert.  Zu dieser Zeit hat das IBM-Werk in Endicott den ASCC fertiggestellt, einen der frühen elektromechanischen Rechner. ASCC steht für “Automatic Sequence Controlled Computer”. Howard Aiken, der Konstrukteur dieses Rechners, hat Grace Hopper in sein Team aufgenommen.

Grace Hopper hat mit ihrem analytischen Verstand selbst diese steinzeitliche Rechenanlage optimal eingesetzt. Das größte Hindernis für eine Programmierung dieses ASCC (später an der Harvard-University wurde der Rechner “Mark I” genannt) bestand in dem festen Programmablauf, der durch einen 4″-breiten Lochstreifen vorgegeben wird. Dies sollte sich auf späteren Systemen ändern –  der Schlüssel dazu bestand in der Von-Neumann-Architektur, welche den Programmcode ebenfalls im Arbeitsspeicher ablegt.

Wer sich für diese Dinge interessiert, sollte sich das Buch kaufen und lesen!

Dr. Kurt W. Beyer: “Grace Hopper And The Invention Of The Information Age, MIT Press Paperback Edition,
ISBN 978-0-262-01310-9

Grace Hopper – Emanzipation aus anderem Blickwinkel

Kürzlich bin ich auf einen Vortrag auf Youtube gestoßen, der absolut sehens- und hörenswert ist: Dr. Kurt W. Beyer stellt in einem Vortrag Admiral Grace Hopper (1906-1992) vor. Sie war Informatikerin und Computerpionierin. Sie hat in den 50er Jahren die Programmiersprache COBOL entwickelt. Dies war insofern ein wichtiger Schritt, als die ersten Rechner in Von-Neumann-Architektur zur Verfügung standen. Wo bisher Computerwissenschafter die Rechner in Maschinensprache oder bestenfalls in Assembler programmiert hatten, konnten nun Fachpersonen ihres Gebiets (Finanzwesen, Verwaltung etc.) den Computer in einer aufgabenorientierten Sprache programmieren.

Frau Hopper hat nebst 40 Ehrendoktorwürden den Man of the Year Award der Data Processing Management Association verliehen bekommen. Da ich derzeit gerade eine Biografie von Wilfried Meichtry über Iris von Roten auf dem Nachttisch liegen habe, sind mir interessante Verknüpfungen in den Sinn gekommen. Iris von Roten hat ihr damals sehr umstrittenes Buch “Frauen im Laufgitter” 1958 auf den Markt gebracht – in derselben Zeit, als Frau Hopper den Vorläufer von COBOL – Flowmatic – erdacht hat. Grace Hopper hat die Emanzipation der Frau auf ihre ganz eigene Weise vorangetrieben.

Zurück zum Vortrag. Ein Zitat aus dem Youtube-”Beipackzettel”:

Hopper made herself one of the boys in Howard Aikens wartime Computation Laboratory at Harvard, then moved on to the Eckert and Mauchly Computer Corporation. Both rebellious and collaborative, she was influential in male-dominated military and business organizations at a time when women were encouraged to devote themselves to housework and childbearing. Hoppers greatest technical achievement was to create the tools that would allow humans to communicate with computers in terms other than ones and zeroes. This advance influenced all future programming and software design and laid the foundation for the development of todays user-friendly personal computers.

Link zum Vortrag (Youtube)

Der letzte Satz ist für mich sehr zentral, darum hebe ich ihn hier hervor:

This advance influenced all future programming and software design and laid the foundation for the development of todays user-friendly personal computers.

Der Vortrag ist ein interessanter kulturhistorischer Beitrag.

„Mehr Zeit zum Leben“

Heute ist mir ein höchst bedenkenswerter Beitrag im einem Forum begegnet. Es handelt sich um ein Forum von Kaffeefreunden, welche ihr Getränk vorzugsweise mit Hilfe von sogenannten „Siebträgern“ erzeugen. In einer Diskussion berichtete eine Forumsteilnehmerin, dass sie aus Zeitgründen vom Siebträger zum „Knopfdruck-Kaffee“ (Nespresso) umgestiegen ist. Was bei den eingefleischten Liebhaber/innen des Kaffees nicht unbedingt auf Zustimmung gestoßen ist. Eine der vielen Antworten lautet (auszugsweise):

„Bei dir ist es zumindest eine Entscheidung mit der Kenntnis, dass es besser geht. Dir ist die Arbeit für “das bisschen besseren Geschmack” zu nervend.

Bei mir ist es genau umgekehrt: Ich freue mich nach dem Aufstehen und nach Feierabend auf einen, oder mehrere Espressi/Cappuccinos. Als erstes wird frisches Wasser eingefüllt und die Maschine eingeschaltet. Die “Wartezeit” ist für mich keine Wartezeit im negativen Sinn (ich könnte ja auch eine Zeitschaltuhr einsetzen) sondern Zeit der Vorfreude.
Ich genieße dann die Zeremonie der Zubereitung, angefangen vom Duft beim Mahlen des Kaffees entsteht, bis zu dem “Erlebnis” wenn der Espresso in die gerade unter den Siebträger gestellten warmen dickwandigen Tassen fliesst. Vom Genuss eines optimal zubereiteten Espresso oder Cappuccino brauche ich dir nicht vorzuschwärmen.

Leider wissen die meisten gar nicht was Ihnen entgeht. Das sieht man an den Regalen im Supermarkt. 2 Meter Nespresso, keine ganzen Bohnen, Fertigessen und Aufbackbrötchen so weit das Auge reicht. In vielen Bereichen kennen die meisten gar nicht mehr den möglichen Geschmack.“

Hier hat jemand aus meinem Herzen gesprochen. Besser kann man das nicht sagen. Überflüssig zu erwähnen, dass ich mich ebenfalls zu den Freunden des Siebträgers zähle. Es fängt schon mit der Auswahl der Kaffeebohnen an, mit dem Gespräch darüber beim Lieferanten. Einer dieser Lieferanten wurde schon einmal in diesem Blog erwähnt, Kaffee-Total. Das Ritual der Herstellung ist mindestens mit ebensoviel Freude verbunden wie der Genuß des Getränks.

Umso erschreckender ist für mich, mitanzusehen, wie im Laden die Regal-Laufmeter mit bunt eingepackten, fertig zubereiteten Lebensmitteln immer mehr werden. Auf Kosten von frischem Gemüse, von frischem Obst. Heute klagen die Gemüsebauern zurecht darüber, dass z.B. die beiden Schweizer Großverteiler Migros und Coop die Preise für die Ware diktieren. Es ist ein unerbittlicher Preiskampf unter den Großverteilern ausgebrochen. Er wird auf dem Rücken der Produzenten ausgetragen.

Vor ein paar Monaten hat ein Schweizer Lebensmittelhändler (Migros) eine Plakatkampagne gestartet, mit einem Bild von einem Mikrowellen-Futter – irgendetwas Asiatisches – und den Worten „Anna’s Best – Mehr Zeit zum Leben“. Jetzt frage ich mich: Was ist Leben? Gehört die Freude am Zubereiten eines Essens, von Grund auf, aus natürlichen Produkten, denn nicht zum Leben? Ist vielleicht Fernsehen ein wichtiger Teil des Lebens? Habe ich womöglich einen schweren Fehler begangen, als ich vor ein paar Monaten unseren letzten Fernsehapparat entsorgt, und das Abonnement dazu gekündigt habe?

Der Siegeszug von Ignoranz und Infotainment

Dieser Tage ist mir ein Artikel der NZZ untergekommen, welcher ein Schlaglicht auf die Spaßkultur, die Ignoranz und das Infotainment der westlichen Welt wirft. Die Autorin, Andrea Köhler, macht sich Gedanken über eine Bewegung, die von den USA aus auf uns herüberschwappt:

Die Amerikaner werden immer dümmer – und damit sind sie nicht allein. Soeben ist in Deutschland ein Buch mit dem Titel «Generation Doof» erschienen, in dem das Phänomen der galoppierenden Ignoranz aufs Korn genommen wird. Die Generation der Zwanzig- bis Dreissigjährigen kann zwar an die zwanzig Klingeltöne fürs Handy, nicht aber Wagner von Beethoven unterscheiden. Falls sie überhaupt noch weiss, wer Wagner und Beethoven waren. Wieder einmal hat merika die Vorbildfunktion. Oder wie Mark Twain so schön sagte: When America sneezes, Europe catches the cold.

Ich bin mir nicht so sicher – falls diese Erscheinung jemals gestimmt hat – ob es heute noch ebenso ist. Vielleicht kommt die alte Welt in ihrer Verblödung sogar ohne die vielgeschähten USA aus. Wenn ich mir die Tendenzen in den elektronischen, aber auch in den Printmedien ansehe, fällt mir auf, dass allein in der kleinen Schweiz das Überangebot der belanglosen Nachrichten einen immer größeren Stellenwert hat. Es ist nicht mehr nur der „Blick“, inzwischen gibt es ein 20 Minuten, und namhafte Zeitungen haben mit der Boulevardisierung nachgezogen, siehe z.B. die ehemals ernstzunehmende Basler Zeitung.

Weiter in ihrem Artikel schreibt Andrea Köhler über die gesellschaftliche Ächtung der Melancholie. Was ich als “nachdenkliches Innehalten” bezeichne, sehen Andere vielleicht schon als Party-Stimmungstöter in unserer ach so lustigen und fröhlichen Welt, Nochmals Zitat aus Andrea Köhlers Artikel:

Interessanter ist da vielleicht ein anderer Aspekt: nämlich der merikanische Zwang zum Glücklichsein oder, mit dem Autor von Against Happiness» gesprochen: das Verbot der Melancholie. Eine Nation, die alles Grübeln mit Prozac austreibt, verliert nicht nur eine wichtige Quelle der Inspiration, sondern auch die Reflexionsfähigkeit. Die Gewohnheit, selbst milde Anfälle von Traurigkeit schon bei Kindern mit Medikamenten zu unterdrücken, leistet der grassierenden leichgültigkeit in sämtlichen Lebensbereichen Vorschub; wer nichts als Spass im Kopf hat, wird sich kaum um gravierendere Probleme als Paris Hiltons neueste Eskapaden scheren.

Nun ist es ja leider nicht so, dass die allgemeine Verdummung vor den Printmedien haltmachte. Die zunehmende Bereitschaft auch der eriösen Zeitungen, sich dem galoppierenden Schwachsinn aus Angst or einem vermeintlichen Verlust von Lesern (und Anzeigenkunden) eilfertig anzubiedern, ist womöglich besorgniserregender als die Exzesse der digitalen Demenz. Darüber hinaus sind die Grenzenz zwischen den unterschiedlichen Medien im Begriff sich aufzulösen. Auch der Kotau vor den Skandalisierungen der Entertainment-Industrie ist längst an den Orten der klassischen Kulturkritik selbst angekommen. Umgekehrt gewähren Fernsehen oder Internet zum Teil entlarvendere Einblicke in die geistige Verfassung unserer Repräsentanten oder Idole, als es jede gedruckte Analyse vermöchte.

Wir empfehlen hier einen Besuch auf You Tube, wo man unter dem Stichwort «Are You Smarter Than a 5th Grader?» das «American Idol» Kellie Pickler bei dem Versuch beobachten kann, die Geografie Europas («Hungry is a country?») auszuloten. Im Übrigen haben kulturpessimistische Klagen den Vorteil, dass sie so schnell nicht veralten. «Jetzt ist nur noch eine Art von Ernst in der modernen Seele übriggeblieben», notierte Friedrich Nietzsche in seinen «Unzeitgemässen Betrachtungen». «Er gilt den Nachrichten, welche die Zeitung oder der Telegraph bringt.» Die moderne Seele ist inzwischen hundertdreissig Jahre älter geworden.

Ich denke, hier ist nichts mehr hinzuzufügen. Anlass zu diesem Artikel von Frau Köhler waren mehrere amerikanische Neuerscheinungen, die sich diesem Phänomen widmen, so z.B.:

  • The Age of American Unreason by Susan Jacoby
  • Anti-Intellectualism in American Life by Richard Hofstadter

welche ich mir natürlich sofort bestellt habe.

Mit Liebe zur Sache

Der libanesische Maler, Philosoph und Dichter Khalil Gibran (1883-1931) schrieb in seinem Werk “Der Prophet” ein Kapitel “Von der Arbeit”, das ich auszugsweise hier veröffentlichen möchte:

Ein Landmann sagte: Sprich uns von der Arbeit

Und der Prophet antwortet und sagte: Ihr arbeitet, um mit der Erde und der Seele der Erde Schritt zu halten.

Und alle Arbeit ist leer, wenn die Liebe fehlt; und wenn ihr mit Liebe arbeitet, bindet ihr euch an euch selber und an einander und an Gott. Und was heißt, mit Liebe arbeiten?

Es heißt, das Tuch mit Fäden weben, die aus euren Herzen gezogen sind, als solle euer Geliebter dieses Tuch tragen. Es heißt, ein Haus mit Zuneigung bauen, als solle eure Geliebte in dem Haus wohnen. Es heißt, den Samen mit Zärtlichkeit säen und die Ernte mit Freude einbringen, als solle euer Geliebter die Frucht essen. Es heißt, allen Dingen, die ihr macht, einen Hauch eures Geistes einflößen.

Arbeit ist sichtbar gemachte Liebe.

Und wenn ihr nicht mit Liebe, sondern nur mit Widerwillen arbeiten könnt, lasst besser eure Arbeit und setzt euch ans Tor des Tempels und nehmt Almosen von denen, die mit Freude arbeiten.

Denn wenn ihr mit Gleichgültigkeit Brot backt, backt ihr ein bitteres Brot, das nicht einmal den halben Hunger des Menschen stillt. Und wenn ihr die Trauben mit Widerwillen keltert, träufelt eure Abneigung ein Gift in den Wein. Und auch wenn ihr wie Engel singt und das Singen nicht liebt, macht ihr die Ohren der Menschen taub für die Stimmen des Tages und die Stimmen der Nacht.

Diese Geschichte kam mir neulich in den Sinn, als ich über Begegnungen aus jüngerer Zeit nachgedacht habe. Es sind Begegnungen mit drei Geschäftsfrauen aus drei verschiedenen Ländern, die alle etwas gemeinsam haben: Sie üben ihren Beruf mit Liebe zur Sache aus. Es ist das persönliche Engagement in der alltäglichen Arbeit, das der Kunde spürt.


8-à-Huit, Lebensmittelgeschäft in F-68480 Oltingue

Nadine Fritschy, die zusammen mit ihrem Team den Laden führt, engagiert sich für lokal angebaute Lebensmittel. Jedes landwirtschaftliche Produkt, das der Bauer im Nachbardorf in ansprechender Qualität liefern kann, ist in Nadines Laden zu kaufen. Die Fleischwaren, die sie anbietet, sind von einem Metzger in der Nachbarschaft hergestellt. Alle übrigen Waren werden im Franchise-System durch den Carrefour-Konzern geliefert. Es ist zwar ein kleiner Laden auf dem Dorf – aber wenn ich etwas suche, das nicht im Laden ist, spreche ich mit Nadine – und, oh Wunder, womöglich ist das Gesuchte einige Tage später erhältlich!


Carolines Holzofenbrot, in CH-4253 Liesberg

Eine gelernte Bäckerin hat sich selbständig gemacht. Sie bäckt Brot und Kuchen in unerreichter Qualität – währenddem andere Leute schlafen – und bietet anschließend ihre Waren feil auf verschiedenen lokalen Wochen- und Monatsmärkten. Fast jedesmal, wenn ich sie an einem ihrer Standorte besuche, stellt sie fest, dass es noch so früh ist, und sie ihre Waren nahezu verkauft hat. Sie braucht keine Reklame mehr – das Brot und die Torten sprechen für sich! Seitdem ich Carolines Linzertorte kenne, backe ich selbst keine mehr, weil ich sie in dieser delikaten Form nicht zustande bekomme.


Kaffee-Total, Kaffee-Spezialgeschäft in D-78315 Radolfzell

Birgit Hotz, ihres Zeichens Barista-Trainerin und Kaffee-Spezialistin, betreibt zusammen mit ihrem Mann Thomas einen Laden für Kaffee und High-End-Espressomaschinen, also Produkte, die auf den Prosumenten zugeschnitten sind. Das Geschäft befindet sich ziemlich versteckt im Radolfzeller Ried am Bodensee. Trotzdem geben sich die Stammkunden die Klinke in die Hand, nicht zuletzt wegen dem einzigartigen Kaffee, den Birgit und Thomas jeweils Freitag nachmittags selbst rösten und mischen. Diese Kaffee-Hausmarke heißt “World’s End”, was aber mit der geographischen Lage des Geschäfts nichts zu tun hat, wie ich mir habe sagen lassen…


Die drei hier vorgestellten Geschäftsfrauen geben mir als Kunde nicht das Gefühl, dass ich nur wegen des zu erwartenden Umsatzes willkommen bin. Die menschliche Begegnung mit mir als Kunde, ihr fachlich engagierter Rat, ihr Einsatz für das hergestellte oder verkaufte Produkt – all dies bringt Khalil Gibrans These auf den Punkt:

Arbeit ist sichtbar gemachte Liebe

Ein schönes Geschäftsmodell

Da die Abzocke im Internet schon oft genug – zu Recht, wie ich meine – gebrandmarkt wird, ist es nun an der Zeit, auf ein positives Beispiel hinzuweisen, das in genialer Weise die technischen Möglichkeiten des Internet zum Vorteil aller Beteiligten nutzt.

Die Rede sei von Magnatune. Es ist ein Portal, das kostenlose Musik im Streaming-Verfahren anbietet. Wer Gefallen an den unzähligen Alben verschiedenster Genres findet, kann sie gegen ein kleines Entgelt herunterladen, sowohl im MP3-Format wie auch als WAV, um daraus eine eigene CD zu brennen. Das per Kreditkarte zu überweisende Entgelt wird vom Kunden bestimmt, es muss pro Album jedoch mindestens 5 US$ betragen. Und ein Käufer darf bis zu 3 Kopien von der Musik anfertigen, die er kostenlos weitergeben kann. Wer sich keine CD selbst brennen will, kann auch seine CD direkt bei Magnatune bestellen. Das Geschäftsmodell ist über die Creative Commons License definiert. Hier ist genaueres über das System nachzulesen.

Das kostenlose Streaming funktioniert entweder über den Flash-Player oder über eine herunterzuladende m3u-Datei für den Mediaplayer, wahlweise 128 kB oder 64kB. Der einzige Unterschied zu den heruntergeladenen CDs ist die Ansage zwischen jedem Titel.

Das eingenommene Geld kommt zu 50% den beteiligten Musikern und Musikerinnen zugute. Ein Blick, oder besser, ein Hineinhorchen in die Webseite zeigt, dass es sich durchwegs um hochkarätige KünstlerInnen handelt! Mir haben es speziell die Werke der Renaissance angetan, z.B. von Jeni Melia und Chris Goodwin oder auch Emma Kirkby, aber auch die Einspielungen des English Concert unter Trevor Pinnock sind einzigartig!

“We are not evil” lautet der Leitsatz von Magnatune. Wie wahr – ein Geschäftsmodell so schön wie OpenOffice.org!

Innehalten

Zwischendurch ist es gut, innezuhalten. Einen Ruhepunkt in der Hektik des Alltags zu finden. Ein Buch kann dabei helfen. Und wenn das Buch Anregungen gibt zum bewußten Dasein, umso besser.

Der Reiseführerautor und Eßkritiker Wolfgang Abel, zugleich Inhaber des Oase-Verlags, gibt mit seinem Buch Badische Küchenkunde mehrfach Anlaß zum Innehalten. Er beschreibt sehr schön den Weg zurück zum Ursprünglichen, Einfachen, aber mit einem durchaus elitären, kompromißlosen Anspruch an die Qualität der Grundnahrungsmittel. Wer in diesem Buch blättert, wird vielleicht die „Denke“ entdecken, die es mir angetan hat.

In bisher keinem mir bekannten Kochbuch wird die wichtigste Zutat von jedem Essen beschrieben: TLC (tender loving care). Egal, was mit TLC zubereitet wird, das Resultat ist Balsam für die Seele.

Ja, die Lektüre eines guten Buchs, das Verzehren einer kleinen, einfachen Mahlzeit, wo alles stimmt – all das gehört zu den kleinen Glücksmomenten, die das Leben so unendlich wertvoll machen.

Zitat aus dem Buch, unter dem Titel „KLINISCH KOCHEN“:

Klinische Küche macht höchstens satt, aber nicht zufrieden.

Die klinisch saubere Edelstahlküche mit Dampfgarer und digitaler Temperaturanzeige ist das Gegenteil jener Mamaküchen, in der bleibende Geschmacksbilder entstehen. Auch die Menüs vieler Sterneköche sind in diesem Sinne klinisch. Ihre Teller mit apart nebeneinandergesetzten Komponenten wirken exakt, aber isoliert und so seltsam beziehungslos wie die Klientel:

Entwurzeltes Scheckkartenpublikum, das über Geld, Langeweile und Stoffwechselprobleme verfügt.

Fadheit, artifizielle Optik, die Ausrottung von Krusten und Fettschichten, die weltweite Verwendung von kalibrierten Filets und Luxusprodukten, das putzige Schnitz-Gemüse – alles weist in eine Richtung: Das Abschaffen iles Kochens als sinnlicher Vorgang zugunsten einer klar planbaren Dienstleistung. Zu recht hat PETER KUBELKA, Professor für Film und Kochen in Frankfurt, darauf verwiesen, daß ein großer Koch heute eher etwas mit einem General gemein hat. Er muß „logistisch talentiert sein, große Truppen bewegen können, den Nachschub planen”. Entsprechend kampfbetont wirken denn auch die Darbietungen dieser Männerküche, die nach Schlachtplan abläuft, in der Emotionales keinen Platz hat, es sei denn als Wutausbruch. Die persönliche Auswahl von Lebensmitteln, langwierige, gar riskante Zubereitung, alles Sinnliche wird als lästiger Störfaktor begriffen.

In Mamas Küche lernt man dagegen aromatisch hassen und lieben, man erfährt, wie schmal der Raum dazwischen sein kann und begreift, daß Vorlieben mit der Zeit gehen. Auch aus Ablehnung kann bekanntlich Freundschaft werden – wie im Falle von Leber, Spinat & Co. In einer klinischen Küche wirkt dagegen schon der Glöckchenschlag der Mikrowelle wie ein letzter emotionaler Rest. Zufriedenheit entsteht in solcher Umgebung nicht; das jojohafte Auf und Ab von Imponiermenü und Blitzdiät müßte eigentlich allen klinisch Kochenden Warnung genug sein.

Aber dann paßt doch alles zusammen: Die keimfreien »Turboküchen« von heute folgen der Logik von Geländewagen. Und mit dem fährt man ja auch nicht auf den Acker zum Kartoffeln rausmachen, sondern in den SB-Markt zum Kühltruhen leeren.

An anderem Ort hat Wolfgang Abel beschrieben, dass der Deutsche der Auswahl des Motorenöls für sein Auto mehr Aufmerksamkeit widmet als der Auswahl seinr Speiseöle. Ich fürchte, dass Herr Abel Recht behalten sollte…